Die Postmoderne zeichnet sich dadurch aus, dass der Mensch seine
Wirklichkeit fassbar machen möchte, kontrollierbar, messbar und damit
transparent. Damit dünkt er sich sicher; er glaubt zu wissen, was Produkt und
wer Hersteller ist, was Risiko und was
Sicherheit ist; denn es ist ja faktisch evident, materiell und damit sichtbar.
Doch inmitten dieser Angst oder Skepsis vor einer unbegreiflichen Wirklichkeit,
dringt subtil die Angst vor der Freiheit hindurch. Es ist paradox: Ein Jeder
will frei sein. Freiheit ist das Lieblingswort des modernen Menschen; wo
Freiheit ist, ist Unabhängigkeit, wo Freiheit ist, ist Glückseligkeit, heißt
es. Doch wenn der Mensch so frei sein möchte: Warum möchte er alles fassbar
haben, materiell, sichtbar, kontrollierbar und damit in der Hand? Warum möchte
er sich ständig mit seiner Umgebung vergleichen, diese bedrängen und
triumphieren? Khalil Gibran schrieb dazu einst beinah ein wenig verärgert:
„Wenn es ungerechtes Gesetz ist, das ihr abschaffen wollt, dann habt ihr es mit
eigener Hand auf eure Stirn geschrieben. Ihr könnt es nicht auslöschen, indem
ihr eure Gesetzesbücher verbrennt, oder die Stirn eurer Richter wascht, und
wenn ihr das Meer darauf gießt. Und wenn es ein Despot ist, den ihr vom Thron
stürzen wollt, seht zu, dass sein Thron zerstört wird, den ihr in euch
errichtet habt(…) Ist es eine Furcht, die ihr vertreiben wollt, so vergesst
nicht, dass sie in eurem Herzen wohnt und nicht in der Hand des Gefürchteten
liegt.“
Der Mensch ist besitzergreifend. Besitzergreifung und Freiheit
passen schwer zusammen. Genauso wie es unmöglich ist, etwas zu kontrollieren,
das sich dem eigenen Kontrollsystem entzieht. Alles was wir fordern;
Messbarkeit, Transparenz und Sichtbarkeit; setzt Unfreiheit voraus. Einige
mögen hier einwenden, dass die gewollte Unfreiheit wiederum eine Form der
Freiheit sei. Und natürlich ist es nur allzu logisch, dass, „kein Einzelner
jemals dazu bereit sein wird, seine Unabhängigkeit zu opfern, außer im Wissen
darum, dass er durch dieses Handeln mehr erreicht, als er aufgegeben hat.“
Aber es geht hier nicht primär um die Frage, ob der Mensch unfrei ist oder
nicht. Sondern vielmehr darum, ob er sich seiner möglichen Freiheit oder Unfreiheit
bewusst ist und damit im Wesentlichen, inwiefern der Mensch frei sein kann und
an welche Bedingungen dieser erweiterte Freiheitsbegriff geknüpft ist. Die
mangelnde Reflexion über die potenzielle Freiheit des Geistes führt nämlich
dazu, dass die Ursache für inneren und äußeren Unfrieden nicht behoben wird.
Solange der Mensch nicht erkennt, was oftmals der eigentliche Antrieb seines
Handels ist, nämlich die Angst vor dem eigenen Makel, die Angst vor dem
Kontrollverlust und damit die Angst vor dem Tod seines Egoismus, bleibt er in
einem gefährlichen defensiven Zustand und entwickelt sich geistig nicht mehr
weiter.
Doch was schrieb Khalil Gibran noch, als er den Menschen zur
Mündigkeit und Konfrontation mit dem Auslöser des Unfriedens auf der Welt
aufforderte? Schien er zunächst verärgert, so appelliert er nun offensichtlich
gefasst an das Freiheit-Potenzial im Menschen:
„Und
was sind es anders als Teile eures eigenen Ichs, die ihr ablegen wollt, um frei
zu werden?“
Es ist möglich jenen Schritt zur Erlangung geistiger Freiheit zu
wagen. Schließlich hat nur derjenige, der die Idee der Freiheit nicht fürchtet,
auch keine Skepsis vor Gott. Gott als nicht-fassbar und unsichtbar zu erkennen,
heißt zugleich, Ihn als frei zu erkennen. Den Gedanken an Gotteserfahrung und
Mystik zuzulassen, bedeutet die Freiheit des Geistes und die Freiheit per se
zuzulassen. All jene, die sich voller Skepsis gegen Gott stellen, haben auch
hier erneut in Wirklichkeit Angst vor dem Unfassbaren, dem Kontrollverlust und
damit Angst vor der eigenen Unzulänglichkeit. Hinzu kommt der größte Denkfehler
des Menschen; der darin besteht, dass er seine Wirklichkeit, und damit
verbunden, seine Kategorien des Seins (die Gebundenheit an Körper, Raum und
Zeit) auf die Wirklichkeit Gottes überträgt. Wir selbst kommen nicht ohne die
Benennung und Konstruktion von Regeln, Kategorien und Bezugssystemen aus. Doch
die Wirklichkeit Gottes ist nur durch den Geist erfahrbar; jedes Wort über Gott
bleibt der Versuch einer Annäherung, jeder Versuch Gott in seiner Gänze zu
erfassen, muss scheitern. Der Heilige Quran ist durchdrungen von dieser
mystischen Dimension und Metaphorik der Wirklichkeit Gottes. Im Vers 6:104 wird
diese unergründbare Mehrdimensionalität der göttlichen Wirklichkeit durch die
Symbolik des Blickes; der Wahrnehmungsfähigkeit der Augen; versinnbildlicht:
„Blicke
können Ihn nicht erreichen, Er aber erreicht die Blicke. Und Er ist der Gütige
(auch der Unergründliche ),
der Allkundige.“ (6:104)
In Anbetracht der Komplexität und Verborgenheit der Wirklichkeit
Gottes, könnte die Frage gestellt werden, inwiefern der noch unwissende und
nicht-spirituell seiende Mensch, in der Lage ist Gott zu erkennen. Dabei gilt
im Quran die sichtbare Wirklichkeit als eine symbolische Manifestation der
unsichtbaren Wirklichkeit Gottes, da diese sichtbare Wirklichkeit eine
erkennbare, in sich schlüssige und komplexe Struktur besitzt, die einer höheren
Maßgebung (Gott) bedarf. Die Wirkung Gottes auf der Welt ist somit für Jeden
unmittelbar sichtbar und damit ist es auch Gott in gewisser Weise selbst. Aus
diesem Grunde nennt sich Gott selbst auch „aẓ-Ẓāhir“ – Der Sichtbare. Im Kontext des
Verses 57:4 im Heiligen Quran heißt es darüber: „Er ist der Erste und der
Letzte, der Sichtbare und der Verborgene, und Er ist der Wisser aller Dinge.“
Dennoch sollte das Potenzial des menschlichen Geistes und damit
die bestmögliche Weiterentwicklung des Seins nicht beiseite geschoben und als
kaum erreichbar relativiert werden. Es gibt Menschen, die es tatsächlich
schaffen nach einer geistigen Entwicklung und dem Ǧihād
gegen ihr Nafs
sich von sich selbst und damit von jener Angst vor der (unsichtbaren und
sichtbaren) Wirklichkeit zu befreien. Jene Menschen verlieren sich in Gott, sie
haben keine Angst mehr vor jeder Art von Raum, Zeit und Körper. Sie sind
zufrieden in der Zufriedenheit Gottes. Und sie versuchen erst gar nicht die
Welt vollkommen zu bemessen, denn wie vermessen wäre es die Komplexität der
Wirklichkeit auf Zahlen zu reduzieren und damit als solche zu ernennen? Die
Vermessung der Welt ist es, die in der Tat vermessen ist.
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