Montag, 26. August 2013

Vertrauen wir Hegel?- Warum absolutes Misstrauen der Wegbereiter für eine neue Epoche der Entschiedenheit sein wird

Wir leben in einem Zeitalter, in dem der materielle Fortschritt einen noch nie dagewesenen Höhepunkt erreicht hat. World Wide Web, Smartphone, GPS, Lasertechnik und Co. determinieren unsere Gesellschaft. Wir rasen und rasen und können es uns nicht mehr vorstellen in einer Welt zu leben die anders funktioniert, ja, die anders strukturiert ist als die jetzige. Vielleicht werden Historiker irgendwann sagen: Das 21.Jahrhundert war ein ganz spezielles Jahrhundert – Bahnbrechend, revolutionär für unser heutiges Dasein. Vielleicht werden sie sogar sagen: Wir haben erst dann begonnen, die Technik dynamisch zu machen. Lebendig, mobil und vielversprechend. Wir waren dabei, als es begann.

Und dennoch ist ein statisch-anmutender Gefühlszustand prägend in der heutigen Zeit. Eine Mentalität, mit der wir alle konfrontiert sind und die den Wenigsten geheuer ist. Ich spreche, so provokant es erscheinen mag, von einer Eigenheit dieses Jahrhunderts. Ein Zustand, der unabdingbar mit der Brisanz des materiellen Fortschritts verknüpft ist. Ein Zustand, der in seiner Dominanz und Häufigkeit ein Grad erreicht und in seiner Erscheinungsform an Gewicht gewonnen hat, welches weder relativiert noch ignoriert werden kann. Es ist die Mentalität des absoluten Misstrauens. Wir können nicht mehr vertrauen. Misstrauen gepaart mit Lethargie. Kognitive Dissonanz. Das Ende des Anfangs.
Woran mache ich meine These fest? Und zu welchem Ergebnis kann sie führen? Ich könnte jetzt soziologisch argumentieren und durch das Kriterium der Empirie und Beobachtung meine Schlüsse ziehen, so wie Eva Illouz es in ihrem neu erschienen Buch „Warum Liebe weh tut“, versucht. Wir könnten sagen: Absolute Freiheit führt zu rücksichtsloser Liebe und zum Scheitern von Liebe - Fehlende Normen und Werte führen zum Verfall der Gesellschaft. So ginge es in etwa vereinfacht. Aber das möchte ich hier nicht tun. Ich werde auch nicht naturwissenschaftlich argumentieren - dass die körperliche Evolution des Menschen sein Optimum erreicht hat und die Evolution des Geistes unendlich ist, beispielsweise. Nein, das führt hier zu nichts. Bleiben wir bei der Logik. Bei der Philosophie. Der Erkenntnistheorie.


Wir haben es nämlich mit einer Polarität zu tun. Mit zwei Gegensätzen, die einander beeinflussen und eine Spannung verursachen, und nur wenn wir diese Polarität verstehen, können wir auch ihre Begleiterscheinungen einordnen und bewerten. Auf der einen Seite befinden wir uns im materialistischen Umbruch. Nennen wir zum Beispiel den steigenden Materialismus, als Heilsversprechen und Mittel zur Glückseligkeit, die sogenannte These nach Hegels Dialektik des Weltgeistes. Und nennen wir demnach die Spiritualität oder das Vertrauen zu Gott, als geistiges Heilsversprechen und Mittel zur Erlangung von Glückseligkeit, die Antithese nach Hegel. Das sind zwei Stadien der Erkenntnis, die eine Entwicklung der Vernunft bezwecken sollen. Das dritte Stadium ist die Synthese, eine Brücke zur Auflösung der Spannung.


Hegel ging davon aus, dass allein das Vernünftige lebensfähig bleibt und sich somit durchsetzen würde. Dabei ist das Unvernünftige jedoch von enormer Bedeutung, um die Entwicklung des Vernünftigen zu provozieren. Das heißt: Umso stärker die These, desto stärker die Antithese. Eine starke These ist somit das Beste was einer Idee passieren kann. Denn je energischer die These ist, desto stärker ist die Negation der Negation. Wenn ich an das „Sein“ nachdenke, muss ich unweigerlich auch an das „Nicht-Sein“ nachdenken. Eine solche dialektische Spannung kann nur aufgelöst werden durch das „Werden“. Anders angewendet: Die Stärke des materialistischen Heilsversprechen führt unweigerlich zu einem wachsenden Misstrauen gegenüber dem spirituellen Heilsversprechen. Die damit einhergehenden gesellschaftlichen Probleme provozieren dabei jedoch immer stärker eine Antithese: Die Sehnsucht nach Vertrauen, die Sehnsucht nach einer tiefergehenden, verborgenen Wahrheit. These und Antithese bedingen einander, die Vorstellung von Materialismus existiert nicht ohne die Vorstellung von Spiritualität, Misstrauen existiert nicht ohne die Idee des Vertrauens.


Haben wir erst einmal jene Realität erkannt, können wir entsprechende Schlussfolgerungen zur Synthese ziehen und Lösungsansätze benennen. Als Theologin wage ich die Herausforderung das erkenntnistheoretische Modell in einen neuen, islamrelevanten Kontext einzubetten.

Der Islam ist eine monotheistische Religion, das heißt tauhid, und damit die Lehre der Einheit und Ganzheitlichkeit des Wesen Gottes, steht im Mittelpunkt. Der Mensch, der die Idee der Einheit Gottes nicht verinnerlicht hat, wird im Koran als „Irrender“ bezeichnet. Jeder Zweifel, jede Spaltung, jedes Straucheln führt ergo zum Aber- oder Unglauben und damit zum Identitätsverlust der Seele. So heißt es in Sura 9, Vers 45: „(…) und in ihrem Zweifel schwanken sie.“ Das Irren der Schöpfung gleicht dem Zustand der Morgenröte [1]: es ist nicht Tag und nicht Nacht. Der Mensch befindet sich in gewisser Weise im Unklaren. Hazrat Mirza Ghulam Ahmad, Friede sei auf ihm, schrieb dazu treffend: „Es ist logisch, dass man eine Sache die man nicht kennt, nicht wertschätzt, nicht liebt; noch hat man Furcht vor ihr. Alle Arten der Liebe und Furcht entstehen nach der Erkenntnis.“[2]

Die Hölle des Irrenden ist somit ein labiler Zustand der Unentschiedenheit, Unvollständigkeit und Unbestimmtheit oder Unbeständigkeit. Er befindet sich in einem Stadium orientierungslosen Lechzens, wie es in der Sura Al-A´raf (7:177) heißt: „(…)Er gleicht daher einem Hunde: treibst du ihn fort, so lechzt er, und beachtest du ihn nicht, so lechzt er. Gerade so geht es Leuten, die Unsere Zeichen leugnen.“ Man könnte sagen, die Anerkennung von Polarität bildet hier die These nach Hegel und die Leugnung von Polarität bzw. von Ganzheitlichkeit bezeichnet die Antithese. Die Synthese wäre aus theologischer Sicht die Vereinigung beider Gegenstücke durch die Formulierung der Erkenntnis, dass Gott der Herrscher über jede Form von Polarität ist.


In der Sprache der Fachsemantik ausgedrückt, klingt es sehr schwerfällig. Dabei bezeichnet es im Grunde genommen einen spirituellen Pfad, der nicht in Worte zu fassen ist. Der muslimische Mystiker und Philosoph Jalauddin Rumi formulierte es so: „Hier ist eine Welt, und da ist eine Welt. Ich sitze auf der Türschwelle.“[3]  Die Schwelle ist somit eine Art Bindeglied oder Brücke zur Überwindung der Polaritäten. Der Islam als Weg der Mitte, führt zur Einswerdung mit Gott und damit zur Auflösung der Unvollständigkeit.[4] Eine Überwindung jeglicher Polarität kann dabei nur gewährleistet werden, indem Gott als Herrscher der Polaritäten angesehen wird. Schließlich ist Gott immer existent, egal ob es Tag ist oder Nacht. Allein die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen ist in der Finsternis eingeschränkt. Der Mensch ist jedoch in der Lage seine Sinne zu schärfen und Gott zu erkennen (Licht) oder seine Sinne abstumpfen zu lassen und Gott zu leugnen (Finsternis).


Wenn Hegel also recht behält, dann kann einzig und allein ein Islamverständnis überzeugend sein und an Einfluss gewinnen, das die Spannung der Polaritäten auflöst und den Weg der Mitte lehrt. Eine fanatische Lesart ist dadurch ebenso wenig erfolgversprechend, wie eine laxe Lesart der Modernisten. Es muss ein Islamverständnis sein, das eine lebendige Beziehung zu Gott propagiert und dennoch nicht völlig weltfremd erscheint.


Nicht ohne Grund prophezeite Max Heine schließlich nach der Lektüre von  Jean-Francois Lyotards Thesen der Postmoderne eine neue Epoche der Entschiedenheit und damit einen Ausbruch aus dem „unerträglichen Stillstand“ der heutigen Zeit:


Die Postmoderne ist widerlegt durch die Geschichte, durch den Fortschritt, durch die Eindeutigkeit und Originalität von Ideen. (…) Die neue Epoche ist geprägt durch den Ausbruch aus dem unerträglichen Stillstand der Postmoderne. Der Aufbruch ist unabdingbar, wenn der Westen auf die großen Veränderungen reagieren und angemessene Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit finden möchte. Antworten, die sich an moralischen und solidarischen Aspekten orientieren. (…) Die neue Epoche wird sich durch die Suche der Menschen nach Halt in einer sich verändernden Welt charakterisieren. Die Bedeutung des Identitätsstiftendem im Rahmen dieser Suche wird dabei  – als Gegenpol zum Individualismus – weiter zunehmen.“[5]


Ob es so sein wird? Wir werden sehen. Mein Vertrauen hat er bereits.

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[1] Vgl. Sura Al-Falaq

[2]Hazrat Mirza Ghulam Ahmad wird von vielen Muslimen als erwarteter Messias und Reformer der Endzeit angesehen. Das Zitat wurde aus dem Buch „Vortrag von Lahore“ entnommen (Frankfurt am Main 2011, S. 19-20)

[3] Vgl. http://www.ahmadiyya.de/islam/islamische-mystik/

[4] Vgl. auch den  interessanten Artikel http://www.huffingtonpost.com/craig-considine/rumi-and-emerson_b_3748667.html?utm_hp_ref=tw

[5] Vgl. http://le-bohemien.net/2013/02/25/die-postmoderne-ist-tot/

Mittwoch, 14. August 2013

Mosaik-Gedicht

Dieses Gedicht ist heute zufällig als Gemeinschaftsprodukt - wir waren zu fünft- während einer etwas langatmigen organisatorischen Besprechung für, ähm... angehende "Talentscouts" und Schiedsrichterinnen eines Sportturniers entstanden ;-) Die einzelnen Poetinnen durften die letzten Verse der Vorgängerin lesen und darauf anknüpfend ihren eigenen Part (jeweils das erste Wort eines neuen Parts ist gekennzeichnet) ergänzen. 

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August 2013.
Ich sitze auf einem Plastikstuhl
Still
Frage mich wann du gehen kannst
Ihr redet 
Doch es ist mir egal 
Wie Jasmin sagt
Wir sitzen
Sitzen unsere Zeit ab
Wir warten
Wann können wir gehen  
Sie hörte nichts als
Ein Rauschen,
Denn sie befindet
Sich in einer anderen
Sphäre,
Eine Welt, in der Äffchen
Laut ihre Tschinellen  
Aufeinander schlagen
In der der
Ton der Dumpfen
Alles übertönt
Hier ist wo
Ihr seid
Der Kosmos der
Ungeahnten Fähigkeiten
Sie, ich, wir
Wir alle gehören zu
Den Liberalen.
Denn Dummheit
Kann man nicht
Verbieten
Wie ein Trauerkloß
In der Suppe,
Saß sie da
Enschieden
Geschlossene Fenster
Überall
Wie die verschlossenen
Köpfe die über
Uns hinweg schauen,
Trauer(e) nicht
Die Zeit vergeht,
Sie warten auf das
Ende
Sie warten auf die
Freiheit,
Sie warten auf,
Auf
Die Luft zum atmen,
Ein unbeschreibliches Gefühl,
Das sie prägt,
Für ihr ganzes Leben.
Nichts war so einprägsam
Und es veränderte
Sie nichts
Als ein Gedanke
Der im Herzen
Verwurzelt war
Du brennst durch
Worte
Worte brennen in
Dir
Du brennst
Du bist geprägt
Auf ewig
Geprägt
Und d(a)rum dackelst du
Mir hinterher
Doch das war nicht mein
Plan
Ich hab das nie so gewollt
Lauf
Lauf weg
Bevor es zu spät ist
Denn die Zeit
Sie geht
Sie vergeht
Renn ihr davon
Renn so schnell du kannst
Sei nicht zu spät
Renn so weiter

Denn die Zeit vergeht
So wie der Sand in den
Fingern (zerinnt) und du weißt
Nicht, vor was du als
Nächstes stehen wirst!
Doch stets willst
Du, dass du mit seinem
Namen auf den Lippen
Stirbst und deine
Letzten Worte
"Allahhuakbar*"sind! 
* Arab. f.: Allah ist größer

Dienstag, 13. August 2013

Größer als

Erzähle mir von jener Lehre
Die dir Vervollkommnung verheißt
Erzähle mir von jener Zierde
Die dich Ganzheit lehrt
Du sagtest mir es sei Heilung
Doch ich fürchte mich
Ich dünkte ich sehe dich kommen
Doch ich sehe dich nicht

Höre: Ich antworte dir an einem Morgen
Wenn der Tag am jüngsten ist
Wenn der Tau auf den Bäumen liegt
Alles einsam ist und niemand flüstert
Alles still ist und niemand lauscht
Wenn du hellwach bist
Heller als der hellste Stern
Wenn du klar sehen kannst
Und du genau hinsiehst 
Ganz genau
Sieh hin

Du spürst den Tau 
Du hörst wie ein Blatt fällt
Du atmest die Luft
Die in der Hemisphäre schwebt  
Es ist, als wärst du der Tau
Es ist, als wärst du das fallende Blatt
Es ist, als wärst du die schwebende Luft
Das wallende Kleid eines Fremden
Und doch bist du hier
Und nirgends anders gewesen
Hast dich nie entfernt
Warst nie versunken
Du bist unvollkommen
Und doch vollkommen 
In der Liebe 
Zur Vollkommenheit

Erst wenn etwas größer ist
Kann Erkenntnis funktionieren
Erst wenn etwas verborgen ist
Kann es sichtbar werden
Wenn etwas immer größer bleibt
Kann etwas anderes ständig wachsen
Dein Mangel 
Dein Streben
Dein Gebet
Ist Voraussetzung
Ist Wegbereiter 
Zur Schärfung deiner Sinne
Zur Einswerdung mit Ihm

Schau es dir genau an
Schau es dir genau an
Du wirst keinen Fehler finden
Keinen Widerspruch
Keine Spaltung
Nichts das fehlt
Weil alles eins ist
Weil alles, das dir gehört
Nicht dir gehört
Und doch dir gehört
Alles fällt auf dich zurück
Und ist noch nie gefallen

Wir schöpfen aus unserem Schöpfer
Sterben und werden lebendig und
Sterben wieder einen weiteren Tod
Um aus diesem neu zu erwachen
Alle Hoffnung auf Leben
Alle Hoffnung auf Zufriedenheit
Alle Hoffnung auf Freiheit
Alle Hoffnung auf Klarheit
Liegt in jener Größe verborgen

Keine Kraft und Macht der Welt
Kann jene Größe schmälern
Keine Kraft und Macht der Welt
Kann jenen Blick krümmen
Wenn er spricht "Sei!!
Dann ist es und es wird sein
Als sei es nie anders gewesen

Solltest du immer noch zweifeln
So zweifle
Es wird mir nicht schaden
Und kann dir nichts nützen
Doch wenn du siehst
Was ich sehe
Dann vergieße Tränen 
Weine
Weine aus Dankbarkeit
Sie werden dir nicht schaden
Und uns beiden nützen

Das ist Heilung.

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