Das Wirkungspotenzial unseres Selbst ist
für das Selbst ein Rätsel, für den Anderen ist es ein oft unbewusstes Verarbeiten
von Reizen, nichts anderes als Konsum. Ja, der Mensch konsumiert sich andauernd
selbst. Er kategorisiert und ordnet, die Stimme, das Aussehen, die Perspektive:
Den Menschen. Dieses Konsumieren des Menschen, des Bildes oder eben jenes
Urteils, das wir uns bilden oder das für uns gebildet wird, scheint erst
durchbrochen, wenn wir in den Spiegel schauen. Wir zweifeln, sind skeptisch,
wir reflektieren.[1] Doch der Spiegel des Anderen bleibt uns fern, es ist unser
Bild, das wir auseinandernehmen, und nach Maßstäben prüfen, die möglicherweise
absurd sind und sich jeder Legitimation entziehen. Aber immerhin hören wir auf
zu konsumieren. Wir halten inne vor dem Spiegel. Der Blick in den Spiegel ist
immer still und einsam. Er ist oft ein wenig bedrohlich, sich selbst ungenügsam.
Das Konsumieren des Anderen wird jedoch
erst durchbrochen, wenn wir uns in seine Welt hineingeben. Wenn dieser Andere unsere
Kategorien ins Schwanken geraten lässt und uns
überrascht. Wenn Name und Bild nicht zusammen zu passen scheinen, Kleidung und
Verhalten sich in die Quere kommen, dann inspizieren wir auch das Selbst das
Anderen, indem wir es nicht bloß konsumieren, sondern auflösen und damit kennen lernen. Aber auch
da wird es eine Grenze geben, die wir nicht durchbrechen können. Bis zu einem
gewissen Grade bleiben wir uns auf ewig fremd. Das ist und bleibt das letzte
Geheimnis zwischen den Menschen.
[1] Ähnlich verhält es sich mit der Symbolik der Verschleierung. Der Schleier reflektiere und transzendiere nach David E. Wellbery die „Grenze zwischen
Beobachtung und Beobachtetem, Meta-und Objektsprache.“ (Vgl.
Endres/ Wittmann, Wolf: Ikonologie des Zwischenraums, München 2005, S.59.) Ausgehend von dieser Definition ist die
Verschleierung eine Art Metapher für einen Spiegel. Ähnlich deutet Endres den
Schleier, demnach dieser als Spiegel das falsche Bewusstsein dessen zurück
werfe, der seinen Blick auf ihn richte.(Vgl. ebd. Endres/ Wittmann, Wolf, S.3.) Der Schleier stiftet Identität,
indem er die Identität des Beobachters herausfordert und indem er zur Reflexion
des Selbst anregt.
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