Mittwoch, 24. April 2013

Was ich bin - Eine Fortsetzung

Sie stand auf, nahm den Papiervogel in die Hand und entzifferte mit ein wenig Mühe die Botschaft eines Fremden. „Lass dich nur in keiner Zeit/Zum Widerspruch verleiten/Weise fallen in Unwissenheit/Wenn sie mit Unwissenden streiten“  Wer war dieser Fremde? Das Publikum verstand nicht so recht, was hier vor sich ging. Weshalb sie sich nicht bewegte, einfach still da stand und schwieg. Und es passierte wie von selbst; sie hatte es geahnt. Wenn wir erschöpft sind und unser Körper nicht mehr kann, dann öffnen wir unser Herz. Wir öffnen es, um es danach wieder so fest zu verschließen, bis ein Teil darin verloren geht.


pardesi pardesi jaana nahi

Fremder, Fremder, geh nicht
mujhe chhodke mujhe chhodke

Lass mich nicht zurück, lass mich nicht  zurück
pardesi pardesi jaana nahi

Fremder, Fremder, geh nicht
mujhe chhodke mujhe chhodke

Lass mich nicht zurück, lass mich nicht  zurück
pardesi mere yaara vada nibhaana

Fremder, mein Freund, halte dein Versprechen
mujhe yaad rakhna kahin bhool na jaana

Behalte mich in Erinnerung und vergesse mich nie


In ihr ist es nun unglaublich still geworden. Vielleicht war es ein Zustand der Ohnmacht. Aber vor ihrem inneren Auge ertönte skurillerweise ein altes indisches Lied aus dem Film Raja Hindustani, das sie beinah vergessen hatte. Als ob das vergangene Ich ihrem heutigen Selbst etwas zu sagen hatte. Das überall fremde; das hin und hergerissene Selbst. Es sprach. Nein, es sprach nicht, es sang.



Aaye ho meri zindagi mein tum bahaar banke

Du bist in mein Leben gekommen wie der Frühling
phoolon ke mausam mein milne aate hai

Du bist gekommen, um mich in der Zeit der Blumen zu treffen
patjhad mein panchhi bankar udjaate hai

Und wenn die Blätter fallen, wirst du zu einem Vogel und fliegst davon
hansti aankhon ko aansu de jaate hai

Aus lachenden Augen kommen nun Tränen
vaada karke bhi na vaapas aate hai

Du wirst nicht zurückkommen, selbst wenn du es versprechen würdest
pardesi mere yaara guzara zamaana

Fremder, mein Freund, die Jahreszeit ist vorbei
use yaad rakhna kahin bhuul na jaana

Behalte dies in Erinnerung, vergiss es nie!


Sie schaute sich alle so gut wie sie konnte an. Jeden Einzelnen. Wie sie bloß da stand. Das Ich. Klein und zerbrechlich, wie ein Streichholz. Die Anderen waren nicht anders; wie sie auf sie starrten, in kindlicher Erwartung auf ein loderndes Feuer. Lauter winzige Streichölzer. Feuer, Feuer, Feuer. Wir wollen es brennen sehen. 

Nicht länger wartend; nicht länger erwartend, nahm sie das Mikrophon in die Hand. Sie war es sich selbst schuldig. Laut und nüchtern, ja, in einem beinah abgeklärten Tonfall, der eher an Kapitulation erinnerte als an Performance, sagte sie plötzlich: WER SEIN EGO ZURÜCKSTECKT VERDIENT DIE MEISTE ANERKENNUNG. UND DOCH ERHÄLT ER DIE GERINGSTE. 

Es brannte. Und wie.


Wenn auch alles andere scheitert, meine Liebe, wir scheitern mit.
Wenn auch alles andere scheitert, unsere Liebe tut es nicht. 

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1 Kommentar:

  1. Sehr schön! Und der Satz des Tages:

    WER SEIN EGO ZURÜCKSTECKT VERDIENT DIE MEISTE ANERKENNUNG. UND DOCH ERHÄLT ER DIE GERINGSTE.



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