Montag, 11. März 2013

TOMORROW



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Das Studium schmälerte sie. Das war ein Satz, der passte. Sie setzte sich wieder auf die Bank und strich ihren Mantel glatt. Endlich war sie in der Forschung, endlich war sie weg von der Verbissenheit der Professoren, endlich konnte sie frei sein. Wenn sie erzählen könnte, was ihr zurzeit am besten gefalle, wüsste sie sofort was sie sagen würde. Sie würde sagen: Das Ungewisse. Vor kurzem hätte sie noch einen Nervenzusammenbruch erlitten, wenn jemand sie auf das Ungewisse angesprochen hätte. Sie hatte vieles geschafft und es lohnte sich nicht mehr für sie, über all das nachzudenken was sie nicht schaffen könnte. Auf dem Boden heute Morgen fand sie auf dem Boden auf dem Asphalt ein Blatt Papier, bedruckt mit einem Gedicht. Es lag sauber und glatt da und stach in ihre beiden Augen: 
  



Wegwerfgedicht[1]

Dieses Gedicht kannst Du wegwerfen

Du brauchst es nicht zu lesen

Du darfst es wegwerfen

Du brauchst es nicht auswendigzulernen

Du darfst es wegwerfen

Du brauchst es nicht in Deinen Bücherschrank zu stellen

Du brauchst es nicht in Deiner Schreibtischschublade zu verbergen

Du brauchst es nicht zu verschenken

Du darfst es einfach wegwerfen

Du brauchst es nicht zu diskutieren

Du brauchst es nicht zu analysieren

Du brauchst es nicht zu Nützlichem zu gebrauchen

Du brauchst es nicht Deinen Freunden zu zeigen

Du darfst es wegwerfen

Einfach wegwerfen

Und keine Schuldgefühle bitte

Und keinen Minderwertigkeitskomplex

Und kein Bedauern, es war doch ein so schönes Gedicht

Und kein schales Gefühl im Mund

Und kein Ohrensausen

Und keine Erinnerung an dieses Gedicht

Das du einfach wegwerfen kannst

Ohne es zuvor laut in einem Park zu rezitieren

Ohne es einem jungen Mädchen in der Abflughalle des Flughafens

Ins Gepäck schmuggeln zu müssen

Ohne es essen zu müssen mit Messer und Gabel in einem verworfenen

China-Restaurant, wo man Dich sowieso schon komisch ankuckt,

Weil Du mit Messer und Gabel dort aufkreuzt und diesem Gedicht,

Nein, dieses Gedicht ist ein Wegwerfgedicht

Es ist kein Konservengedicht

Es ist kein Gedicht im Frischhaltebeutel

Es ist kein Gedicht, das du bis zum Verfaulsdatum aufzuheben brauchst

Es ist ein schlichtes, billiges, einfach wegzuwerfendes Gedicht

Du brauchst es nicht zu lesen

Du brauchst ihm nicht zuzuhören

Du brauchst es nicht zu beriechen

Du brauchst es nicht in Dein Tagebuch zu schreiben

Du brauchst keinem zu lauschen, der es in irgendeiner Fußgängerzone

Laut vor sich hinbrüllt

Du brauchst es nicht zu interpretieren

Du brauchst Dich nicht von ihm verwirren zu lassen

Du darfst es wegwerfen

In irgendeinen Mülleimer

Du darfst es auch einfach im Bus liegenlassen,

Wenn du dich nicht getraust, es öffentlich wegzuwerfen, so,

Daß man dich dabei beobachten kann,

Nein, dies ist ein komisches, verschrumpeltes, preiswertes

Wegwerfgedicht,

Ich fand es in einer italienischen Eisdiele

Auf der Kaiserstraße in Frankfurt am Main

Ich ließ es mir warm einpacken

Und dann habe ich es weggeworfen

Frag nicht, wohin

Sie nahm das Gedicht und hing es an ihre Wand. Weil es nicht danach gefragt hatte. Weil es niemandem gefallen wollte. Weil es einfach war.




[1] Von Hadayatullah Hübsch

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