Mittwoch, 12. Juni 2013

Was wird, wenn wir werden? - Konzepte geistiger De- und Regeneration


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Erste Anzeichen geistiger Degeneration 
Das Fundament der geistig-spirituellen Degeneration wird immer dann gelegt, wenn der Mensch im Zustand seines Fortschreitens anzunehmen beginnt, irgendetwas allein aufgrund seiner eigenen Leistung oder der Leistung anderer erreicht oder verdient zu haben, oder, umgekehrt, nicht weiter voranschreiten könne, da er es nicht verdient oder nicht die Kraft dazu habe. Der erstere Gedanke setzt voraus, dass all jene Menschen, die weniger fortgeschritten sind, dazu unfähig sind oder nicht das Glück hatten sich in jene Richtung zu entwickeln. Die zweitere Logik indes, zeugt von mangelndem Vertrauen in die Barmherzigkeit und Allmacht Gottes, der als Herr der Welten die Menschen unaufhörlich lenkt und begleitet. Natürlich hat der Mensch nichts verdient und es käme ihm auch nicht zu, irgendetwas von Gott zu verlangen. Doch Gott selbst hat dem Menschen versprochen, ihm alles zu geben, was gut für ihn ist, wenn dieser aufrichtig zu Gott betet und Ihm vertraut. So heißt es in einem Prophetenausspruch:„Würdet ihr auf Allah vertrauen, so wie ihr auf Ihn vertrauen solltet, so würde Er euch versorgen, wie Er den Vogel versorgt: er fliegt mit leerem Magen hinaus und kehrt mit vollem zurück.“  (Hadith At-Tirmidh)  

Zwar ist es nur allzu logisch, dass Menschen, die beständig in eine bestimmte Richtung streben, eher dazu neigen, das Ziel jener Richtung zu erreichen; aber letztlich ist es Gott selbst, der sich seinem Diener zeigt, wann er will und wo er will, ohne zu rechnen. Auch ist Er es, der dem Menschen die Kraft gibt sich in eine bestimmte Richtung (weiter-) zu entwickeln. Diese Tatsache zu verkennen, zeugt von der Verkennung des Wesen Gottes, nachdem alle Menschen dazu befähigt und bestimmt sind, Ihm zu begegnen und die höchstmögliche Reinheit zu erlangen. 

Eine universelle Botschaft 
Vergleichen wir den Charakter der Religion; hier des Islams; mit dem Charakter anderer Weltanschauungen, Philosophien und Konzepten, so werden wir erkennen, dass ihr Wert vor allem darin besteht, dass sie keine Sorte von Menschen ausschließt. Die Philosophie als Quelle des (Pseudo-) Intellektualismus, schließt beispielsweise vermeintlich primitiv Denkende und Ungebildete aus. Sie spricht davon, „Perlen nicht vor die Säue“ werfen zu dürfen und sieht sich als Sprachrohr der Privilegierten. Im Hedonismus werden die Asketen und Armen ausgeschlossen, in anderen Lebensentwürfen sind es die Alten, die Kinder, die Kranken oder die vermeintlich Hässlichen, die von unterschiedlichsten Heilsversprechungen isoliert bleiben. Gott liebt alle Menschen gleichermaßen bedingungslos. Das einzige, das der Mensch tun muss um Ihm zu begegnen, ist, an Ihn zu glauben und sich Ihm hinzugeben. Gott selbst sorgt dabei dafür, dass seine universelle Botschaft durch Gesandte und Schriften verbreitet wird. Für diese Epoche hat Gott, nach Ansicht der Anhänger der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hazrat Mirza Ghulam Ahmad als Propheten und Reformer des Islams, Friede sei auf Ihm, gesandt, um den tatsächlichen Zweck der Beziehung zu Gott zu vermitteln: "Allah hat mich gesandt, damit ich die Distanz, die zwischen Ihm und Seinen Geschöpfen entstanden ist, beseitige und Liebe und Aufrichtigkeit etabliere. Dass ich durch das Verkünden der Wahrheit die Kriege zwischen den Religionen beende und den Grundstein für eine Versöhnung lege. Dass ich die religiösen Wahrheiten, die vor dem weltlichen Auge verborgen liegen, enthülle, und die Spiritualität, die unter egoistischen Leidenschaften versunken ist, hervorbringe."(in „Der Vortrag von Lahore“, S. 60)

Wenn der Mensch jedoch beginnt Gott zu verleugnen und zu misstrauen, wird seine Begegnung mit Gott hinausverzögert und seine spirituell-geistige Entwicklung vermieden. Einige Menschen erkennen Gott daher erst in der nächsten Welt; nach einem schmerzvollen Prozess der geistigen Reinigung. Genauso gut kann es aber auch Menschen geben, die, nachdem sie Gott erkannt haben, aus dem eingangs erwähnten Stolz heraus ihren Blick für die Gnade Gottes verlieren. Von der Erkenntnis in die finsterste Dunkelheit zu geraten ist insofern peinvoller, als dass sie dem Sehenden gleicht, der sein Augenlicht verliert. Wer ist bemitleidenswerter? Jener, der schon immer blind war und nichts anderes kennt, oder jener der die Wahrheit bereits gesehen hat und dann umherirrt? 

Die Gefahr des absoluten Relativismus
Ein weiterer Keim für den Beginn der geistig-spirituellen Degeneration des Menschen, liegt in der Relativierung und Überspielung des von Natur aus filigranen, hochsensiblen geistigen menschlichen Wesens. Diese Sensibilität der Seele zu ignorieren, härtet sie nicht ab, sondern lässt sie verkümmern. Beinah selbstverständlich geworden scheinen in der heutigen Gesellschaft ständig wechselnde Partnerschaften, der Konsum von Alkohol- und Drogen und das Zelebrieren des Körpers. Zig Ratgeber beschäftigen sich mit daraus resultierenden modernen psychischen Volkskrankheiten; von  innerer Unruhe oder Zerrissenheit, Antriebslosigkeit, Depressionen ist die Rede. Der Zustand erinnert an ein quengelndes Kind, das aus natürlichen Gründen unzufrieden ist – hungrig, müde, durstig – aber nicht versteht und verstehen will, warum es unzufrieden ist. Die Mutter versucht es zum Schlafen zu bringen, es mit Nahrung zu füttern, doch das trotzige Kind quält sich stundenlang selbst. 

Hinzu kommt, dass weit verbreitete nihilistische Tendenzen in Kino, Musik und Literatur (man denke beispielsweise an den Hollywoodblockbuster "Hangover 3"[1], David Foster Wallaces "Unendlicher Spaß" oder Songs von OK Kid [2]) nicht mehr bedrohlich wirken, sondern als gesellschaftskonform und angesagt gelten. Durch die gepriesene Indifferenz und Relativierung wirkt nichts mehr vertrauenswürdig und da es nichts mehr zu geben scheint, was Bestand haben kann, feiert der Mensch schließlich sich selbst. Auch mit dem Wissen, dass dieses getriebene Selbst „im Angesichts des Todes erbärmlich“ ist [3]. Der Mensch strebt zwar weiter, aber sein Streben nach Selbsterhöhung bleibt ein Leerlauf. Es ist die Anerkennung der Gesellschaft, die wir suchen und die wir eigentlich nicht immer wollen; die Gesellschaft soll etwas kompensieren, das fehlt. Doch wir wissen nicht, was genau es eigentlich ist, das uns fehlt. 


Völlige Hingabe als Befreiung
Doch wie soll man einem Kind erklären, dass es Wasser braucht, wenn es aber Coca Cola haben will? Wenn die Existenz Gottes und die Notwendigkeit der Beziehung zu Gott durch das Gebet als Nahrung für die Seele diskutiert werden, sollte das Gegenüber bereit sein zuzuhören und anfangen neue Fragen zu stellen. Das Gebet ist keine Yoga-Übung, ein bloßes In-sich-kehren zur Erlangung von Ruhe. Für viele Muslime ist das Gebet viel essenzieller. Wie kann es also sein, dass es solche Menschen [4] gibt, die nicht phasenweise, sondern beständig, tief und fest an einen Gott glauben und nicht aufhören Ihm allein zu vertrauen? Die nicht müde werden Ihm zu dienen? Warum lieben diese Menschen Gott aus ganzem Herzen und sind dazu bereit alles Weltliche wegzugeben? Wenn der Glaube an Gott eine bloße Wunschvorstellung ist, Opium fürs Volk, warum folgt aus dem Glauben (es geht hier nicht um politisierte und instrumentalisierte Religiösität) keine Selbstzerstörung? Das Gebet ist mehr: die größtmögliche Öffnung des Geistes, Kommunikation mit Gott. Wer ernsthaft daran interessiert ist, Gott zu begegnen, der wird Ihn finden. Er wird Ihn finden und sich Ihm vollkommen ergeben, weil es das Schönste ist, das der Mensch zu erfahren imstande ist.






[1] Vgl. http://www.welt.de/print/wams/kultur/article116519334/Unsere-Reise-ins-Nichts.html

[2] Vgl. Als Paradebeispiel gilt der Song „Allein, zu zweit, zu dritt“

[3] Vgl. Thomas Bernhard: Meine Preise. Frankfurt 2009, S.83.

[4] Darunter viele sehr gebildete und hochintelligente; Bsp. Dr. Abdus Salam,  Ahmadi-Muslim und Nobelpreisträger

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