Sonntag, 21. Juli 2013

Gesichter

Welche Bedeutung haben Gesichter für den Werdegang der Geschichte? In Frankreich ist der Streit um das Tragen einer Vollverschleierung erneut eskaliert, wie die ZEIT berichtet[1]. Die international geführte Debatte verweist auf bekannte Diskussionsansätze; die Frage nach der Notwendigkeit eines Verbotes, der Verhandlung von Demokratie und der Gerechtigkeit im Umgang mit der Religionsfreiheit. Die meisten jedoch empfinden die Verhüllung des Gesichtes im Sinne der interreligiösen Begegnung und Annäherung und im Sinne der Integration und des Aufeinanderzugehens als ein offenbares Hindernis. Die Verhüllung erzeuge Misstrauen. Die Kommunikation werde gebremst. Um sein Gegenüber verstehen zu können, müsse das Gesicht frei sein.

Die Mehrheit der Muslime, mich eingeschlossen, halten das Tragen einer Vollverschleierung, bei der die Augen nicht zu sehen sind, für extrem und unislamisch. Aus islamwissenschaftlicher Perspektive sind zudem Überlieferungen des Propheten Muhammad, Friede sei auf Ihm, bekannt, in denen er die Sichtbarkeit von Gesicht und Hände der Frau erlaubt. Doch damit kommen wir dem Kerngedanken des Vorwurfes nicht näher. Folgen wir nämlich seiner Logik, so kommen wir nicht drumherum die Vertrauenwürdigkeit des unverhüllten Gesichtes zu thematisieren. Der Kommentar des Lesers "thorner kathrinchen" skizziert den simplen Vergleich der Gesichter: "so oft wie ich mit einem poker-face zu tun habe, kann ich auf die freie sicht aufs gesicht auch verzichten" 

Wenn die Verhüllung des Gesichtes das Problem darstellt, warum scheitert dann bereits der Dialog mit den unverhüllten Muslimen und mit den Kopftuchträgerinnen, die ihre Gesichter zeigen? Extreme Formen der Verhüllung und der Enthüllung erregen Aufmerksamkeit. Sie sorgen für ein bisschen Show, Schaum um den Mund, Wut und Panik, Shitstorm, für das Spiel der Erhebung und Erniedrigung, für Heuchelei und Kontrollzwang. Aber sie sagen viel mehr über den Betrachter der Verhüllung und Enthüllung aus, als über die Verhüllten und Enthüllten selbst. Wer wirklich daran interessiert ist auf sein Gegenüber zuzugehen, mit ihm zu kommunizieren und ihm zu begegnen, der sollte sich einmal ehrlich fragen, wie viel er dafür in der Praxis tut. Ob er heute Morgen beispielweise seinen Nachbar gegrüßt hat, in der Straßenbahn in ein besorgtes Gesicht geblickt hat, vielleicht sogar mit einem Gebet im Herzen oder dem bloßen Wunsch ihm irgendwie helfen zu können? Er sollte sich ernsthaft fragen, wie viele Freundschaften aus Mitgefühl und dem Wunsch uneigennützig Gutes zu tun, entstanden sind und wie viele vom Gedanken der Nützlichkeit geprägt sind.

Wer etwas zu sagen hat, sagt es auch. Ob er sein Gesicht zeigt oder nicht, ob er spricht oder nicht. Nur ob es jemand lesen und hören will, ist eine andere Sache.




[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-07/trappes-burka-verbot-frankreich


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