Doch es dauert nicht lange, da wird eben jene
simple Erkenntnis als fadenscheiniges Argument für eine ausgehende Gefahr von
gelebter Religiosität für den gesellschaftlichen Frieden gebraucht: „Überhaupt: Die Vermutung, dass
gesellschaftlicher Zusammenhalt vor allem auf einem intakten Gerüst kultureller
und moralischer Werte beruht, bestätigen die Ergebnisse der Untersuchung eben
nicht. Sie weisen vielmehr in die entgegengesetzte Richtung: Nicht in allen,
aber eben doch in signifikant vielen Ländern, in denen Religion im Alltag eine
wichtige Rolle spielt, etwa in Rumänien, Griechenland, Polen oder Italien, ist
der gesellschaftliche Zusammenhalt eher gering. In allen sechs Ländern, in
denen der Zusammenhalt am stärksten ausgeprägt ist, spielt Religion dagegen im
täglichen Leben der Bewohner eine vergleichsweise geringe Rolle.“
Das scheint doch eine
sehr steile These, angesichts des zuvor angeführten Gedankens, dass sich vor allem
die soziale Gerechtigkeit und damit die Einkommensverteilung auf den
gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirken. Insbesondere dann, wenn eine
Diskrepanz zwischen moralischen und kulturellen Wertevorstellungen (Theorie)
und ihrer Umsetzung (Praxis) nicht ausgeschlossen werden kann. Eine geäußerte
Unzufriedenheit oder Spaltung in der Gesellschaft, insbesondere in Zeiten der
Wirtschaftskrise, ist nur eine
Ausdrucksform einer erlebten sozialen Ungerechtigkeit. Ob die Mehrheit eines
Landes das Etikett „christlich-orthodox“ oder „muslimisch“ trägt oder nicht:
Wenn in der Praxis das Vertrauen in die Integrität des Staates oder der
Sozialpolitik verloren geht, hat das natürlich Auswirkungen auf den wahrgenommenen
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Man fragt sich wie der Interpret der Studie
überhaupt auf die Idee gekommen ist, ohne Weiteres einen Kausalzusammenhang
zwischen dem religiösen Bekenntnis einer Mehrheit und der erlebten sozialen
Ungerechtigkeit herzustellen. Dahinter scheint sich wohl die Überzeugung zu
verbergen, dass Religionen per se ein Grundübel für die Entwicklung einer
Gesellschaft sind. Als ob Egoismus, Macht- und Geldgier sowie fanatisches und
totalitäres Gedankengut exklusive Bestandteile der Religion wären. Die Religion
ist nicht autonom. Wer immer noch annimmt die Religon sei das Grundübel unserer
Zeit, ist selbst abergläubisch. Denn er glaubt daran, dass Religionen
unabhängig von Zeit, Raum und Mensch Einfluss nehmen und existieren können und
dass der Egoismus des
Menschen schwächer sei als das ehrliche Befolgen einer religiösen Lehre.Die wahre Erkenntnis der Studie birgt indessen folgendes Zitat: "Insgesamt kommt die Studie zu dem Schluss, dass ein höherer oder niedrigerer Migrantenanteil keinerlei bemerkenswerten Einfluss auf den Zusammenhalt in einem Land hat." Das mag für viele tatsächlich neu sein. Aber ob das reicht?
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[1] http://www.sueddeutsche.de/leben/bertelsmann-studie-deutschland-fehlt-die-toleranz-1.1722182-2
Stimme dir vollkommen zu!!
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